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Mehr als 1000 ukrainische Forschende sind nach Beginn des russischen Angriffskrieges nach Deutschland geflüchtet. Für viele von ihnen ist die Zukunft ungewiss. Denn während der Krieg andauert, stellen sich zugleich existentielle Fragen nach der beruflichen Perspektive – in Deutschland oder dem Heimatland. Das Ukraine-Netzwerktreffen, organisiert von der Alexander von Humboldt-Stiftung, dem DAAD, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, der Gerda Henkel Stiftung, der Leopoldina und der VolkswagenStiftung, brachte Forschende untereinander und mit Vertreter*innen deutscher Fördereinrichtungen und der Politik zusammen, um sich zu Fördererfahrungen, nachhaltigen Vernetzungswegen und Karrierechancen in der EU auszutauschen.
Der Präsident der Humboldt Stiftung Robert Schlögl betonte bei der Eröffnung: „Wir müssen an einer Vision für die ukrainisch-deutsche akademische Zusammenarbeit arbeiten, über die anstehenden Herausforderungen nachdenken und diskutieren, wie die Ukraine zu einem Anker wissenschaftlicher Produktivität werden kann, der Talente aus der ganzen Welt anzieht.“ Anke Reiffenstuel, Beauftragte für Außenwissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik im Auswärtigen Amt, sagte: „Akademische Exzellenz und internationale Zusammenarbeit werden nicht nur einer der Eckpfeiler für den Wiederaufbau der Ukraine sein, sondern auch für die langfristige Entwicklung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlergehens des Landes.“ Auch Denys Kurbatov, stellvertretender Vize-Minister für Bildung und Wissenschaft der Ukraine, legte den Schwerpunkt auf das Thema Zusammenarbeit. Er dankte in seiner Videobotschaft Deutschland und den Partnern in Europa und verwies darauf, dass die Ukraine Maßnahmen für die Rückkehr der Forschenden und den Wiederaufbau der Wissenschaftsstrukturen entwickele.
Während der beiden Veranstaltungstage kamen neben fachspezifischen Fragen auch übergreifende strukturelle Probleme zur Sprache. Um die Integration von ukrainischen Forschenden im deutschen und europäischen Wissenschaftssystem voranzutreiben, entwickelten die Teilnehmenden konkrete Lösungsvorschläge: Es brauche bessere Vernetzungsmöglichkeiten und mehr Weiterbildungsmöglichkeiten für ukrainische Forschende, um wettbewerbsfähig zu sein. Im Bereich der Soft Skills seien unter anderem Fachsprachkenntnisse, gezielteres Wissen über die Präsentation von Forschungsergebnissen und Unterstützung bei EU-Förderanträgen gefragt. Auch wurde angeregt, den Fokus noch stärker auf angrenzende Berufspfade und innovative wissenschaftliche Ausgründungen zu legen.
Eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Deutschland könne es aber nur dann geben, wenn sie zum Vorteil beider Parteien sei, so Andriy Luzhetskyy, Professor für Pharmazeutische Biotechnologie an der Universität des Saarlandes und Leiter von einem der vier deutsch-ukrainischen Exzellenzkernen, die das Bundesforschungsministerium mit rund 10 Millionen Euro fördert. Gerade im Bereich der Cyber Security oder in der Arzneimittelproduktion könne die Ukraine ein wichtiger Partner für deutsche Forschungseinrichtungen sein, betonte Luzhetskyy.
Bereits 2023 hat die Humboldt-Stiftung mit ihren Partnern und Teilnehmenden der HUMBOLDT4UKRAINE-Veranstaltungsreihe Empfehlungen zum Wiederaufbau der ukrainischen Wissenschaft formuliert.
Zugleich sei es nötig, den Blick auf die Ukraine und den Wiederaufbau zu richten. Was kann getan werden, um weiteren Brain-Drain zu vermeiden? Hier könnte eine Flexibilisierung des Wissenschaftssystems hin zu online und hybrider Lehre einen Lösungsansatz bieten. So wäre das Wissen der exilierten Forschenden auch weiterhin im Heimatland zugänglich, forderten die Teilnehmenden. Kreative Ansätze seien gefragt – über nationale Grenzen hinweg, betonte auch Oleksyi Kolezhuk, stellvertretender Vorsitzender des Scientific Committee of the National Council for Science and Technology Development of Ukraine.
Darüber hinaus brauche es vor allem einen mentalen Wandel in Hinblick auf den Beitrag der Ukraine zur EU, so Susan Stewart, Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Wir sollten uns fragen, wie wir mit dem Land in der Union noch stärker werden können.“ Dazu tragen auch Kultur und Kunst bei. Schamma Schahadat, Professorin für Slavische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen, forderte eine Dekolonialisierung ihres Fachbereichs und mehr Sichtbarkeit für Länder wie die Ukraine, Belarus oder Kasachstan: „Wir haben die osteuropäischen Kulturen immer durch die Linse Russlands betrachtet. Der Krieg in der Ukraine hat uns bewusst gemacht, dass wir noch viel lernen müssen. Ich bin dankbar für die Expertise, die unsere Kolleg*innen aus der Ukraine einbringen“.
Noch am 18. April gab es dann auch gute Neuigkeiten zu verkünden: Die Europäische Kommission stellt zusätzliche 10 Mio. Euro für das MSCA4Ukraine-Programm bereit. Die Mittel werden es rund 50 zusätzlichen Wissenschaftler*innen, einschließlich Doktorand*innen und Postdoktorand*innen, die aus der Ukraine fliehen mussten, ermöglichen, ihre Forschungsarbeit an Gasteinrichtungen in der EU und in mit Horizont Europa assoziierten Ländern sicher fortzusetzen. Außerdem erhalten die Forschenden Zugang zu Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Karriereentwicklungsmöglichkeiten. Das Programm unterstützt auch die aufnehmenden Einrichtungen, sowie diejenigen Stipendiat*innen, die mit ihren Familien umziehen.